Die "Ernstthaler" Brauerei

Bier ist bereits seit Jahrtausenden bekannt. In unserer Region wurde jedoch ehemals hauptsächlich Wein getrunken, welcher aber nur in ungenügender Menge oder minderwertiger Qualität gekeltert werden konnte. So musste der Wein immer wieder mit Branntwein oder Apfelmost versetzt werden, um letztendlich ein genießbares Getränk zu erhalten.

Seit dem 18. Jh. setzte schließlich der Siegeszug des beliebten Gerstensaftes auch in unserer Region ein, was den Aufschwung des Braugewerbes zur Folge hatte. So kamen um das Jahr 1840 auch im Fürstenhaus Leiningen die ersten Gedanken an den Bau einer eigenen, „Fürstlich Leiningenschen Brauerei“ auf. Bei der Standortwahl wurde u.a. berücksichtigt, dass das für die Energieerzeugung erforderliche Holz auf kurzen Wegen herbeigeschafft werden konnte. Zudem waren große Mengen Gerste für die Malzgewinnung erforderlich. Auch die anfallenden Brauereiabfälle sollten optimal verwertet werden.

Diese wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren sprachen schließlich für Ernstthal, in der Nähe des waldreichen Dreiländerecks der heutigen Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen und Bayern als letztendlichen Brauereistandort, denn die Braugerste war hier von den umliegenden Bauern zu günstigen Preisen erhältlich und die in Ernstthal erworbenen Ökonomiegebäude konnten optimal zu einem Mustergut für die Ochsenmast und Pferdezucht ausgeweitet werden. Somit war auch das Entsorgungsproblem der Brauabfälle geklärt. Die Umrisse des gesamten Dorfes sollten in dieses Mustergut einbezogen werden.

Zudem dürfte der angrenzende Wildpark (siehe „Unser Land 2003“), sowie das nahe gelegene Schloss Waldleiningen (siehe „Unser Land 2000“) die Entscheidung für den Brauereistandort Ernstthal –- trotz schlechter Verkehrsanbindungen – ebenfalls positiv beeinflußt haben.

So begann man im Vorfeld der Bauaktivitäten mit dem Ausbau der Wegverbindungen von und nach Ernstthal, nicht zuletzt um das erforderliche Baumaterial bequemer herbeischaffen zu können. Bereits im Jahr 1840 wurde die Talstraße von Amorbach kommend um das Teilstück Ernstthal – Seitze Buche – Eberbach ergänzt. Hierzu wurde hinter dem kleinen Weiler am Ende des Gälmichtales ein Damm aufgeschüttet, über den noch heute diese Straße führt.

Im Jahr 1880 erfolgte die Anbindung Amorbachs an das Eisenbahnnetz. Nahezu zeitgleich wurde mit der zum 1. Mai 1882 fertiggestellten Eisenbahnstrecke Erbach – Kailbach und dem Bahnhof Kailbach ein weiterer Absatzweg erschlossen. Die Erweiterung bis Eberbach folgte später.

Für den Betrieb der Brauerei wurde bereits um 1840 eigens ein Eisweiher errichtet, welcher im Winter das erforderliche Eis zum Kühlen der Keller lieferte. Er wurde auch als Fischteich und Brandweiher genutzt. Der Teich war schon zur damaligen Zeit parkähnlich bepflanzt und dient noch heute als Lebensraum für die wassergebundene Tier- und Pflanzenwelt. Von einem weiteren Eisweiher im Gälmichstal sind heute jedoch nur noch Steinreste und Erdanhäufungen in Umrissen zu erkennen.

Im Jahr 1843 wurde mit der Errichtung der Braugebäude begonnen. Diese Bauaktivitäten sowie der errichtete Damm und der Eisweiher veränderten gänzlich den Charakter des Ortsbildes bis zur heutigen Zeit: Nicht die Brauerei wurde in Ernstthal errichtet, sondern das Dorf wurde auf die Brauerei maßgeschneidert!

Aufgrund des guten Bierabsatzes wurde bald ein großer Bier-Lagerkeller errichtet und durch erhebliche Erdbewegungen mit dem Aushub der Brauereigebäude abgedeckt. So entstand ein weiterer Damm, über den noch heute die Straße zum Schloß Waldleiningen führt. Ein großer Kellerraum reichte bis in das angrenzende Bergmassiv unter der neuen Straße nach Eberbach. Über den Kellern wurde die runde Fassbier-Halle errichtet. Eine Öffnung im Boden bzw. der Kellerdecke diente der Eisanlieferung.

Im Jahr 1848 war die noch junge Brauerei ein Anlaufpunkt des Bauernaufstandes der umliegenden Ortschaften und ging somit auch als Revolutionsschauplatz in die Geschichte ein.

Bereits ab 1880 wurde Flaschenbier abgefüllt, welches sich immer mehr durchsetzte. In der Zeit um 1895 verschlechterte sich die Bierqualität, wovon sich die Brauerei jedoch bis zum Jahr 1900 erholte. Neben Bier wurde um diese Zeit bereits Limonade abgefüllt. 1912 wurden ca. 70 Gaststätten der umliegenden Dörfer beliefert. Zum witschaftlichen Höhepunkt der Brauerei im Jahr 1909 waren sogar 25 Personen beschäftigt. Zu dieser Zeit war die Brauerei mit dem dazugehörenden Ökonomiebetrieb ein wichtiger Wirtschaftsbetrieb für die gesamte Region um Ernstthal:

Auch mein Urgroßvater, Franz Müller sen., war Bierfahrer. Er kannte sämtliche Brau- und Ökonomietätigkeiten recht gut. Mein Großvater, Franz Müller jun., erhielt um 1917 in französischer Kriegsgefangenschaft eine Flasche Bier aus der Brauerei Ernstthal, was dieser damit sogar einen internationalen Flair verlieh!

Um die Jahrhundertwende wurde die Umstellung von Holz auf Kohle für die Wirtschaftlichkeit des Braubetriebes mehr und mehr zum Problem. Die Kohle mußte nämlich mit Pferde- oder Ochsenwagen und später mit dem ersten Lastwagen im hinteren Odenwald von der Bahnstation Kailbach herbeitransportiert werden, was mit erheblichen Kosten und Umständen verbunden war. Schließlich sollte die einstige Entscheidung für diese holzreiche Umgebung den wirtschaftlichen Niedergang des Betriebes bedeuten: Das Brennholz konnte mit der Heizleistung der Kohle nicht schritthalten.

Für die Fortführung des Braubetriebes kam erschwerend hinzu, dass aufgrund einer Mißernte im Kriegsjahr 1917 die für die Malzgewinnung notwendige Braugerste fehlte. Die Bierproduktion wurde vorübergehend eingestellt, und es wurde nur noch Limonade abgefüllt.

Das endgültige Aus kam schließlich während der Weltwirschaftskrise im Jahr 1923. Wie 16000 weitere Brauereien deutschlandweit, wurde auch die Ernstthaler Brauerei ein Opfer der Inflation. Die Braurechte und Teile des Inventars wurden von der Fürstlich Löwensteinischen Brauerei in Bronnbach übernommen. Die Braugebäude erlebten während des 2. Weltkrieges ein kurzes Intermezzo als Heereslager, danach als Flüchtlingslager und später als Schule für die Dörfer Breitenbach und Ernstthal mit Waldleiningen. Pfarrer Weber aus Schloßau hielt hier alle zwei Wochen Gottesdienst ab, bis die Bausubstanz der inzwischen baufällig gewordenen Gebäude immer schlechter wurde.

Die Schließung der Brauerei hatte auch die Verkleinerung der fürstlichen Ökonomie zur Folge; zeitgleich wurde auch der angrenzende Wildpark flächenmäßig reduziert.

Die runde Fassbier-Halle wurde Anfang der 40er Jahre des 20. Jh. abgerissen. Der Hauptbau der Brauerei wurde in den 70er Jahren durch Sprengübungen der Bundeswehr zerstört. Die Gebäude der Gambrinus-Halle, mit einer Sandsteinfigur des hl. Gambrinus, dem Schutzpatron der Bierbrauer, sowie die ehemalige Küferei, stehen noch heute. Auch der runde Teich unterhalb der Gambrinus-Halle, welcher einst zum Reinigen der Fässer angelegt wurde und dessen Quelle dem Dorf Neubrunn einst seinen Namen gab (Neubrunn wurde erst 1837 in Ernstthal umbenannt – heutige Schreibweise Ernsttal), blieb erhalten und dient jetzt der Forellenzucht.

Die großen Keller unter den Brauereigebäuden und der Fassbier-Halle sind noch begehbar; Teilbereiche unter der Straße wurden aus Sicherheitsgründen zugemauert. Ein erst kürzlich renoviertes Wohngebäude neben der Gambrinus-Halle trägt als Schindelmosaik die Jahreszahl 1899. An der Gebäuderückseite ist – ebenfalls als Schindelmosaik – der Brauereistern (Davidstern) zu erkennen, der zusammen mit dem hl. Gambrinus auch noch heute an die Blütezeit der stolzen Brauereianlage erinnert.

Quellen:

  • Das Leininger Jahr
  • Zeitungsartikel
  • diverse Literatur der hiesigen Region
  • Mündliche Überlieferungen

 Thomas Müller, Schloßau 2015

Bild 1:  Flaschenetikett Brauhaus Faust, Miltenberg

Bild 2:  Originalflaschen von ca. 1900

Bild 3:  Gebäude-Rückseite